Sind wir agil oder tun wir nur so? Von einfachen Prinzipien bis hin zu überkomplizierten Ritualen
Viele Unternehmen behaupten, agil zu arbeiten, doch folgen sie wirklich den Prinzipien oder nur den Ritualen? Agile sollte Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Mehrwert fördern. Stattdessen sind viele Teams in ein “Agile-Theater” verfallen, bei dem Stand-ups, Sprints und Retrospektiven durchgeführt werden, aber echter Fortschritt ausbleibt. Dieser Artikel zeigt, wie eine zu strikte Anwendung von Frameworks wie Scrum und SAFe dazu führt, dass Teams sich mehr auf Prozesse als auf Ergebnisse konzentrieren. Anhand realer Fallstudien von Unternehmen wie USAA, Amazon und Bosch wird deutlich, dass Agile nur dann funktioniert, wenn Teams auf kleine, testbare Ergebnisse, kontinuierliches Feedback und schrittweise Verbesserungen setzen, anstatt sich in starren Sprint-Zyklen zu verlieren. Die zentrale Erkenntnis: Frameworks sind nicht das Problem – sondern wie sie angewendet werden. Um echte Agilität wiederzuentdecken, müssen Unternehmen den Fokus von Prozessen auf Mehrwert und von Ritualen auf Ergebnisse verlagern.

Die Agile-Illusion: Wenn der Prozess wichtiger wird als das Ergebnis
Viele Unternehmen haben versucht, Agile großflächig einzuführen, nur um sich dann in Bürokratie und Ineffizienz zu verstricken. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die ING Bank, die während ihrer Agile-Transformation mit starkem Widerstand aus der Führungsebene zu kämpfen hatte (McKinsey, 2017). Ähnlich scheiterte der Versuch von Boeing, eine agile Lieferkette für die Produktion des 787 Dreamliners einzuführen – anstatt Effizienzsteigerungen zu erzielen, kam es zu Verzögerungen und Qualitätsproblemen (Forbes, 2019). Laut dem State of Agile Report 2023 glauben nur 37 % der agilen Teams, dass sie tatsächlich Wert liefern. Die Mehrheit kämpft mit starren Prozessen und einer mangelnden Ausrichtung auf Geschäftsziele (Digital.ai, 2023).
Die entscheidende Frage lautet also: Sind wir wirklich agil – oder tun wir nur so?
Die Einfachheit des Agile Manifesto
Das Agile Manifesto wurde geschaffen, um Teams dabei zu helfen, flexibel zu bleiben, sich an Veränderungen anzupassen und echten Mehrwert zu liefern (Agile Manifesto, 2001). Die Prinzipien sind bewusst einfach gehalten und sollen Teams die Freiheit geben, ihre Arbeitsweise an verschiedene Herausforderungen anzupassen.
Doch viele moderne Agile-Implementierungen sind inzwischen viel zu starr geworden. Strikte Prozesse und feste Deadlines stehen im Vordergrund, anstatt sinnvolle Ergebnisse zu erzielen.
Zum Beispiel war die Idee hinter dem Prinzip, funktionierende Software regelmäßig zu liefern – idealerweise alle paar Wochen –, dass Teams stetige Fortschritte machen und schnell auf Veränderungen reagieren können. Doch in der Praxis sind daraus oft starre Sprint-Zyklen mit festen Endterminen geworden, bei denen Teams alle geplanten Aufgaben abschließen müssen, egal ob sich Prioritäten geändert haben.
Diese starre Vorgehensweise verhindert, dass Teams sich anpassen können. Das führt zu überhasteten Releases, minderwertiger Software und dem Fokus darauf, Aufgaben abzuhaken, anstatt echten Nutzen für den Kunden zu schaffen.
Der Aufstieg der Frameworks: Hilfe oder Hindernis?
Frameworks wie Scrum, SAFe und Kanban wurden eingeführt, um Teams eine Struktur und klare Prozesse zu bieten und die Umsetzung von Agile zu erleichtern. Sie schufen eine gemeinsame Sprache und konkrete Schritte, was besonders für Unternehmen nützlich war, die sich mit den flexiblen Prinzipien des Agile Manifesto schwertaten (Scrum Guide, Ken Schwaber & Jeff Sutherland, 2020).
Doch die strikte Einhaltung dieser Frameworks hat sich oft gegen das eigentliche Ziel von Agile gewandt.
Anstatt sich auf Zusammenarbeit, Anpassungsfähigkeit und Mehrwert zu konzentrieren, sind Teams oft mehr damit beschäftigt, Scrum „richtig“ zu machen oder jede einzelne SAFe-Vorgabe zu befolgen. Dieser prozessfixierte Ansatz steht im direkten Widerspruch zu den Grundwerten von Agile, die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit über starre Planung stellen.
Frameworks sind nicht das Problem – ihre falsche Anwendung schon
Es ist wichtig zu betonen, dass Frameworks an sich nicht schlecht sind. Scrum, SAFe und Kanban können leistungsstarke Werkzeuge sein, wenn sie richtig angewendet werden. Das Problem entsteht, wenn Teams diese Frameworks als strikte Regelwerke statt als flexible Leitlinien behandeln.
In einem gut funktionierenden agilen Team sollten Frameworks an die Bedürfnisse des Teams und des Unternehmens angepasst werden – nicht umgekehrt.
Rituale ohne Ergebnisse: Das Agile-Theater
Viele Teams sind inzwischen in eine Art “Agile-Theater” verfallen, bei dem Agile-Zeremonien zwar regelmäßig durchgeführt werden, aber keinen echten Nutzen bringen (Jez Humble, „Lean Enterprise“, 2014).
Typische Symptome des Agile-Theaters:
• Tägliche Stand-ups sind nur Status-Updates, statt Blockaden zu lösen
• Sprints werden termingerecht abgeschlossen, aber liefern keinen echten Mehrwert
• Retrospektiven finden regelmäßig statt, führen aber zu keinen echten Verbesserungen
Anstatt Agile für bessere Zusammenarbeit und schnellere Anpassungen zu nutzen, setzen viele Teams Agile-Zeremonien nur um, weil es „so gemacht werden muss“. Das erzeugt die Illusion von Produktivität, führt aber nicht zu besseren Ergebnissen.
Ein Hauptgrund für dieses Problem ist das fehlende Kunden-Feedback.
• Viele Teams beziehen echte Nutzer nur selten oder erst am Ende eines Projekts ein (Forsgren, Humble & Kim, „Accelerate“, 2018).
• Domänen-Experten werden in Agile-Teams integriert, aber ihre Hauptaufgaben nicht reduziert, was zu Überlastung und Fehlentscheidungen führt.
Ohne regelmäßige Feedback-Schleifen liefern Teams häufig Lösungen, die nicht den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer entsprechen.
Das Kernproblem: Agile wird oft falsch verstanden
Eines der größten Probleme heute ist, dass viele Teams nicht wirklich verstehen, worum es bei Agile eigentlich geht.
Anstatt sich auf den echten Mehrwert zu konzentrieren, halten sie sich zu sehr an Prozesse und Rituale.
Warum passiert das?
• Viele Menschen haben keine fundierte Agile-Schulung und glauben, dass tägliche Stand-ups und Sprints allein Agile ausmachen
• Unternehmen sind veränderungsresistent und bevorzugen planbare, strukturierte Abläufe, obwohl das im Widerspruch zu den Kernideen von Agile steht
Wichtige Erkenntnisse: Wahre Agilität im Jahr 2025
• Frameworks sind nicht das Problem – ihre Anwendung ist entscheidend
• Agile-Rituale sollten echten Nutzen bringen, nicht nur zur Einhaltung von Prozessen dienen
• Kleine, testbare Ergebnisse schaffen echte Agilität
• Regelmäßiges Kunden-Feedback ist unverzichtbar
Der Weg zu echter Agilität beginnt mit kleinen Veränderungen. Jedes Unternehmen sollte seine agilen Praktiken ehrlich hinterfragen, Komplexität reduzieren und schrittweise Verbesserungen vornehmen, um sich der wahren Agilität anzunähern.